Me & Michael Stipe

keine-pause.de - das kulturmagazin im internet

Darius A. Diekmann, 09.11.99

 

Me & Michael Stipe

Neulich in Köln. Endlich einmal die Gelegenheit, REM live zu sehen. Darauf warte ich schon seit etwa 10 Jahren. REM sind ja so unglaublich wenig Kommerzorientiert, dass sie Deutschland, das wichtigste CD-Kauf-Land nach England und Amerika, seit Jahren in ihrer Live-Gunst eher spärlich beehren.
Haha.
Nun also ist es soweit, me & some friends (damit meine ich wirklich mich und einige Jungs, nicht etwa eine Werbeagentur) machen uns frühzeitig auf den Weg zur Kölnarena. REM in der Kölnarena, das ist wie DJ Bobo im Schulzentrum Everswinkel, aber was solls.
Vor der Halle wilde Rangeleien um REM-Tourposter und UP-Schals. "UP" heißt das neue Album, es ist anders als "New adventures in HI FI", besser, aber reicht an die ersten Alben einfach nicht ran. Ohnehin eine Frechheit eigentlich, was REM vor "UP" so alles veröffentlicht haben. "Monster" zum Beispiel. Sah aus wie eine Technoplatte und klang wie  das Garagengeschrammel von der amerikanischen ECHT- Adaption Silverchair im Vollrausch nach dem ersten Dosenbier. Ohne Tontechniker, mit einem Tapedeck aufgenommen. Das sollte dann wohl investigativ sein oder so.
Der Presseausweis lässt uns die Sache locker sehen, die Kölnarena ist nämlich klein, will heißen: wenig Platz für so viele Leute, aber als VIPs, da bekommt man immer ein Plätzchen. Die Jungs müssen ohnehin noch austrinken.
Später bewegen wir uns dann zum Nebeneingang und finden es schade, dass wir hier zum Einlass gebeten werden. Frauentechnisch wäre es natürlich besser gewesen, ganz lässig an den etwa 20 Millionen wartenden Fans mit popeliger Eintrittskarte vorbei zu marschieren, um dann ganz lässig den Security-Jungs auf die Schulter zu hauen und "alles klar, Kollege?" zu rufen. Die würden glatt glauben, wir sind Promis und das würde abgehen, nach dem Konzert mit den Frauen.
Aber egal, dann eben keine Frauen, nur REM.
REM, das muss ich wohl keinem mehr erzählen, ist die Abkürzung für "Rapid Eye Movement".
Ich sage das aber trotzdem, weil ich mir einen tollen Witz ausgedacht habe, wie wir da so im VIP-Bereich standen und auf REM gewartet haben.
"Rapid Eye Movement", das hat nämlich nichts mit männlichem, unerfülltem und daher sehr unausgeglichenem Sexualtrieb zu tun, sondern bezeichnet die unwillkürlichen Augenbewegungen während der Tiefschlaf-Traumphase.
Klasse Witz, oder ?
Und es kommt noch besser: Stellen Sie sich mal vor, REM würden einen Song zum "SPACE JAM" - Soundtrack beigesteuert haben, diesem Film mit Bugs Bunny. Dann wäre die Abkürzung im CD-Heft bestimmt in "Rabbit Eye Movement" umgewandelt worden.
Lustig, oder.
Wie auch immer, das Konzert geht los, ich bin begeistert und habe auch Gott sei Dank keine Zeit mehr, mir Witze für den anschließenden Bericht auszudenken.
Irgendwann scheint den Jungs auf der Bühne die Stimmung zu sehr überzukochen und sie wählen ein paar ruhigere Songs aus. Wir machen uns daraufhin erst mal auf den Weg zu einem Getränkestand, die Jungs betrinken sich mit Alkoholfreiem Bier, ich wähle Cola light, obschon es hier lediglich Pepsi gibt und sogar Michael Stipe greift auf der Bühne zur Wasserflasche.
Wir denken, oha, er stärkt sich, dann geht es jetzt sicher ganz furios in den brillanten Teil über, in dem endlich auch alle alten Hits gespielt werden, nicht nur das komplette "UP"-Programm.
Wir bahnen uns also in freudiger Erwartung den Weg zurück und haben Pech. Der VIP-Bereich ist verschlossen, alles gegen die Tür trommeln hilft nichts, man erhört uns nicht. Also können wir das Konzert nicht mehr zusammen mit Jenny Elvers und dem REM-Edelfan Heiner Lauterbach genießen. Verdammt.
Kurze Lagebesprechung, aber was bleibt schon übrig?
Wir begeben uns also herab in den Innenraum, um uns unter das Proletariat zu mischen.
REM beginnt wieder zu spielen, scheinbar haben alle genügend Wasser intus oder der Schlagzeuger ist mal wieder ausgewechselt worden, ich weiß es nicht.
Jedenfalls erwartete ich "Shiny happy people" oder wenigstens "Everybody hurts", aber REM spielt irgendein buddhistisch angehauchtes Indienstück. Das ganze halbesoterische Gemurmel von Michael Stipe zieht sich über 10 Minuten hin. Die ganze Band scheint in Trance zu sein oder in Tibet, zumindest gedanklich, denn keinem auf der Bühne fällt auf, dass der Song nicht so gut ankommt. Unten im Innenraum merkt das komischer Weise aber jeder und so ist die Stimmung nach 3 weiteren Minuten Gebetsmusik auf dem Nullpunkt. Keine Atmosphäre, keine Bewegung.
REM wollen uns anscheinend ihre religiösen Überzeugungen näher bringen, oder auch aufzwingen, das mache ich aber nicht mit.
40 000 Leute in völliger Stille, die lautlose Kölnarena hinter mir, brülle ich in übermütiger Bierlaune "Losing my religion" in die Arena.
Gelächter, dann zustimmender Applaus.
Ich denke schon, jetzt bin ich der König und Michael Stipe beglückwünscht mich. Oder bedankt sich zumindest, dass ich ihn auf dieses Stimmungsloch aufmerksam gemacht habe, denn er war ja offensichtlich unabkömmlich im Gebet.
Statt dessen fängt er an, wie wild mit den Armen zu rudern und brüllt seine Band an: "Stop the music...Stop it now...Stop the music."
Und wie der Messias ihnen geheißen hat, die komplette Band lässt die Instrumente sinken und es herrscht nun wirklich komplette Stille.
Ich bin stolz, denn ich glaube, ich habe das Konzert gerettet.
REM wird jetzt "losing my religion" spielen, die Stimmung wird ins unermessliche steigen, die Kritiker sich überschlagen und ich werde mehr als nur dabei gewesen sein.
Michael Stipe macht mich aus, kommt  nahe an den Bühnenrand.
Ich denke, oh, er will sich vermutlich persönlich bei mir bedanken und ich winke ihm höflich zu.
Gerade als ich merke, dass 40 000 Leute mich anstarren (darunter wenigstens 15 000 Frauen), passiert es:
Michael: "You...listen...I´m no Jukebox. »
Ich: Werde rot und verschwinde sofort.
Im Ausgang höre ich, wie REM den tibetanischen Gebetstanz fortführt und nehme ein Taxi ins Hotel.
Kein "losing my religion", keine Party, nicht mal eine Frau.
Nie wieder REM.

 

[www.keine-pause.de] [Montagskolumne] [Bücher] [Film und Fernsehen] [Filmfestivals] [Auf Bühnen] [Über...] [Prosa] [Augenwinkel] [Sommer 2001] [Gewinner der Woche] [Me & Michael Stipe] [Anna] [Biermanns Sohn] [You never sleep at night] [18.12.97] [Fenster (1.Buch)] [Monochrom] [Steuermann (2.Buch)] [ZRUK] [Lyrik] [Länderinfos] [Presse] [Institutionenlinks] [Reiseberichte] [Zeitfragen] [Links] [Impressum] [Archiv]