Fenster (1.Buch)

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Fenster

(1. Buch)

 

 

Kapitel I

 

Wenn ich so aus dem Fenster gucke, dann sehe ich wirtliche Wolken, in Hausform. Direkt einzuziehen, das könnte sein, was der Erbauer sich uns vorstellte. Leider ist mein Traumhaus grade schon vorbeigezogen und hier von meinem Fenster versperrt mir auch ein Schwarm Fische den Sichtzugang zu dem Meistermusterhaus. Mein Akku ist noch halb voll, erst später muß ich mich wieder aufladen, obwohl ich schon wieder Hunger habe oder ist es doch wieder nur die Lust zu konsumieren? Wer kennt sich schon selber - wer kommt schon zurecht mir sich -

ich nich.

Flusen und Staubpartikel schwimmen im Zimmer wie die Schwärme vor dem Fenster. Wenigstens bin ich also nicht allein. Vergeblich warte ich darauf, daß mir aus vorüberziehendem Fenster jemand zu winkt - es sind ja alles nur Musterhäuser. Mir ist, als schwömme mein Haus auch, doch gestern tat es das noch nicht. Gern wäre ich eben auch auf mein Dach gegangen, doch der Kühlschrank hat sich mit dem Besen zusammengetan und nun versperren sie die Tür. Die Fenster haben schon vor ein paar Tagen eine Abstimmung durchgeführt und nur der Kaffeespender ist eigentlich auf meiner Seite. Aber der kriegt ja auch Geld dafür. Gestern hatte ich ihm Geld gegeben und er mir Rückgeld, ich ging in die Wohnstube, um dort ein Picknick zu veranstalten, da fiel mir auf: Falsch Geld. Also: Falsches Rückgeld. Ich ging zurück zu reklamieren. Und er sagte: Oh, ja, ich bin in die falsche Kategorie gerutscht, hier das richtige Rückgeld. Ich ging. Und nachdem ich weiter gegangen war, drehte ich mich und sagte: Aber ich komme trotzdem wieder. Er darauf: Das ist beruhigend. Er kann soetwas sagen, er hat ja auch das Kaffeemonopol. Vielleicht spiel' ich mal mit ihm Monopoly. Oder ich trinke einen Tee mit ihm, der Kaffee muß ihm ja schon zu Hals heraushängen. Gehangen. Werden. Muß.

Vielleicht stürze ich mich auch durch eins der Fenster durch nach draußen. Dann flöge ich wenigstens. Vielleicht fänge ich mich im Flug und könnte ein paar Runden drehen. Oder mich einfach fallen lassen und so die Rähmen sprängen. Vielleicht säh mich ja auch der ein oder andere oder sagte wenigstens zum Nachbarmann, Mann-Oh-Mann. Vielleicht bleib ich auch einfach hier, noch reichen die Vorräte ja. Zumindest tagen sie noch und subventionieren sich gegenseitig. Ich könnte auch mal wieder versuchen, eins der Fenster zu überreden nachzugeben, dann könnte ich in die Dachrinne kotzen. Das liefe dann ab und zu und weg. Jedenfalls habe ich jetzt Durst, aber Alkohol ist ja auch keine Lösung und angeblich nicht mal gut für die Leber. Oder ist es doch wieder nur die Lust? In meiner überkonsumorientierten Welt weiß ich das gar nicht mehr und zu wahrem Glück bin ich eh nicht mehr fähig. Ich sehne mich nach so vielem, doch nur zu wenigem kann ich mir wirklich aufraffen. Wenigstens gibt es noch Kaffee. Nur muß ich mich da fragen, ob ich nicht den Kaffeespender ausbeute. Manchen Leuten soll der Kaffee ja bei solchen Vorstellungen besser schmecken. Ich finde, das ist eine gute Frage. Und wenn die Heizung mal murrt, dann trinke ich halt einen Kaffee mehr. Import-/Exportausgleich nenne ich das dann. Aber bei mir ist das mit dem Geldkreislauf so eine Sache. Viele Sachen sind überhauptnicht verfügbar und daher vom Kreislauf ausgeschlossen. Ich sehne mich so nach Abgründen, nach Schluchten, Bergen, Himmeln über anderen Gegebenheiten. Ich sehne mich nach so vielem, doch letztendlich läuft alle nur auf ein neues Bett hinaus. Dadurch würde sich alles schlagartig verändern, vor allem wenn es eine ausgleichende Persönlichkeit hätte. Nur sind Betten dieser Art nur schwer zu finden und sie wachsen auch nicht auf Bäumen. Jedenfalls nicht auf diesem Planeten. Und nicht mehr in diesem Leben. Hier ist alles zu festgefahren. Und das mit dem Verweis auf Althergebrachtes. Bring ich doch lieber selbst her. Oder selber. Oder ich.

 

Eben, wir brauchen wieder Leute, die nicht nur ich sondern auch wir sagen. Wir. Ich.

Na wenigstens 1. Person.

Na wenigstens eine Person.

Eine neue Unperson.

 

Ging ich doch. So hing ich doch

 

nicht mehr von dieser Wohnung und ihren

Lebewesen

ab.

 

Hier klappt das mit dem Zusammen                                                         halt nicht mehr.

 

So gut.

 

 

Kapitel II

 

Ich habe mich in den Schrank gesetzt. Und jetzt höre ich mir die alten Geschichten an, etwas bieder, aber nieder mit Kategorien. Kalorien. Kategorien sind Kalorien. Und somit Gewicht. Hoffentlich fühlen sich die Kleidungsstücke unter mir nicht erdrückt. Ich jedenfalls fänd's ganz gnadenlos ganz schön gnadenlos gnadenlos. Der Kühlschrank macht wieder eine Pause, mit Kühlen und darum wackelt der Boden. Man soll sich nicht täuschen, denn der Kühlschrank ist ja jetzt nicht aus und ich somit nicht heraus durch die Tür. Mindestens der Besen würde mir auch dann noch zu schaffen machen.

Der Schrank hat sich was in den Kopf gesetzt. Daran will ich nichts ändern. Irgendwann werde ich raustreten müssen, noch zögere ich den Moment mit Erfolg hinaus. Mir fehlt eine Felllampe in gelb. Zottelig. Und mir fehlen viele Schlüssel.

 

Ich nehme die Schüssel und mache Pudding.

 

 

Kapitel III

 

Manches Mal, ja, da wünschte ich mir so viel.

 

Aber, ich stehe still. Meine Zeit und somit ich stehe still. Wissenschaftler haben ja auch herausgefunden, daß Zeit nicht nur von Raum und Geschwindigkeit, sondern auch vom Subjekt abhängt. Und Überlichtgeschwindigkeit soll es jetzt auch geben. Ich lese auch gerne Science Fiction. Da ist man sich wenigstens sicher, daß es Literatur ist. Es sei denn, dort wird der Untergang der Welt beschrieben. An den glaube ich schließlich ganz echt. Und ich fange schon mal bei mir damit an. Bei mir geht die Welt nämlich langsam jetzt schon mal unter. Dämmerung. Götterdämmerung. Da ist was im Gange. Gange. Ich fange schon mal an. Fange. Fangfahre. Scherenschnitt. Handgeschnitten. Wer? Ja, wer hat ihn angefertigt? Der Gärtner? Betrieb. Getreibe. Ernte. Felder. Sichtfenster. Fensterdurchsicht: weit. Ich nicht. Mit mir nicht. Ich bleibe. Ich bleibe stehen. Ständer. Last man standing. Werbung. Werbesprache. Fernsehen. Einflüsse auf Entfernung. Zeit, Zeitlosigkeit. Früher die Geschichten am (Herd-)Feuer. Heute: Feuerherde. Verheerend. Brände. Ohne Filter. Filterlos. Filterhersteller. Betriebsräte. Rätebetrieb. Räteherrschaft.

 

Kapitel IV

 

Ich bin nicht mehr da. Niemand kann mich sehen. Ich mich selbst auch nicht mehr. Och, nö...  Das macht auch keinen Spaß.

Ein neuer Kaffee, ein neuer Tag, ein neuer Mensch. Ein homo novus. Aber: ich bin immer noch da und ich bin immer noch ich. Schade. Wer ich doch nicht hier. Egal, denn woanders würde ich mich auch langweilen. Und lang

 

 

weilen.

 

                                                                                                     Sprünge

Lang verweilen und keilen und und und. Ich mache   ein paar                   gesprungen. Ha! Ha ha! Einfach mache ich es mir aber auch nicht und wir uns auch nicht. Gesprungen bin ich geh' zur Ruh, mache meine Ohren zuh. Jetzt hör' ich nicht mehr, was eh nicht zu hören war und bin trotzdem noch da und kann mich so viel ich will und bin dann trotzdem noch nicht viel und bewege und ich tue und ich und wir und uns, doch nichts ändert sich, außer der Zeit, die eben noch anders war und ich ja eigentlich auch, mindestens jünger und somit klüger, wenn auch nicht reifer, doch das könnte ich ja noch werden und bewege und mich.

 

 

Spruch I

 

Manche Ideen sind einfach nicht ausgereift.

 

Kapitel V

 

Das Leben ist zu schwierig, um es richtig zu leben und so zu handeln wie man es gerne hätte.

 

 

Spruch II

 

Überfremdung

 

 

Spruch III

 

Ein Blinder, der im Dunkeln sitzt, kann nicht verborgen bleiben.

 

 

Spruch IV

 

Der, der sein Deo in den Kühlschrank stellt,

hat keine Schwierigkeiten mit der Sonne.

 

 

Spruch V

 

Wenn man einen Freund nach vielen Jahren wiedertrifft,

ist er immer noch ein Freund.

 

 

Kapitel VI

 

Ein Schwall im Fluß durchtränkt Gesellschaft, Situation und Gedanken, alles, was noch Sitte ist, es hatte angefangen, ohne daß man es merkte, es entwickelte sich, es stinkt.

Hast Du was. Fehlt Dir was. Willst Du mir nicht noch was anvertrauen?

Was soll ich? Und Wie meinst Du?

Bewegung. Stagnation. Station. Stadion. Standort. Orion. Ohren. Lärm. Bewegung. Das Leben kostet Nerven. Aber niemand hätte eigentlich die Zeit aufzuregen, sich und andere.

Positives Lebensgefühl. Aber nur solange man nicht über den Sportteil der Zeitung hinausliest. Lebensbejaung. Denn: was sonst? Man gehört doch nicht zum armen Teil der Pessimisten. Mit riesigen Schaufeln schaufelt man sich den Geist und somit den Kopf frei.

 

 

Spruch VI

 

Der Teufel scheißt immer auf den dicksten Haufen.

(mbe)

(mbe, 08.01.98)

 

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