Anna

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Anna

 

 

Ich wollte berühmt sein, richtig berühmt.

Ich wollte so berühmt sein, dass Filmstars mit mir rumhängen und mir vorjammern, wie beschissen ihr Leben ist.

Ich wollte Fotographen verprügeln, weil sie mich in irgendeiner Hotelhalle am International Irgendwas Airport mit Liv Tyler auftun oder meinetwegen mit Denise Richards.

Ich wollte mit den obszön - bösen Gerüchten über Jennifer Lopez´ Sexpartys in Verbindung gebracht werden.

Und letztendlich wollte ich jung und Just-like-James-Dean in ein heruntergekommenes Krankenhaus in L.A. eingeliefert werden, weil ich mir zum ersten mal ne Dosis Koks mit Matt Damon reingezogen habe und Ben Affleck uns in den Armen von Amber Valetta und Gwyneth Paltrow vorfinden würde, halb tot, aber glücklich.

Ich wollte einfach alles, den ganzen amerikanischen Traum, der mittlerweile auch der Deutsche Traum geworden ist.

Vielleicht sogar Deutscher als Deutsch.

Denn es war ziemlich Deutsch geworden in Kaltland.

 

Ich, Ich, Ich...

 

Ich dachte vermutlich an diesen Traum, denn ich dachte eigentlich immer daran, als ich am Kölner Hauptbahnhof den ICE nach Berlin bestieg.

Erstmals hatte ich eine Platzreservierung vornehmen lassen, denn ich hatte bei Erwerb meiner Bahncard Gutscheine dafür erhalten und hatte diese typisch Deutsch natürlich sofort gegen einen Fensterplatz Nichtraucher / Wagen 3 / Platz 22A eingetauscht.

Spießigkeit holt uns alle irgendwann ein.

Ich fühlte meine Toni Gard Reisetasche über der Schulter und merkte, wie mein "Hugo" by Hugo Boss Anzug (Anthrazit übrigens ) dekadend leger aufflog.

 

Ich hatte große Lust, das Bild des totalen Arschwichsers, der mit Papas Kohle einen auf Superyuppie macht, dadurch zu vervollständigen, noch meine Hogo - Sonnenbrille aufzusetzen.

Es war diesig in Köln, doch ich wusste ja:

- It´s never too dark to be cool.

 

Naja, ich ließ die Sonnenbrille stecken und fühlte mich auch so pseudogeil genug, um den ICE zu besteigen.

 

Ich war mit dem Taxi gekommen und hatte eine Gesellschaftsstudie im Kopf begonnen, die ich jetzt , mit der Muße der Zeit im Rücken hier im Zug zu Papier bringen wollte.

Der Taxifahrer hatte mich darauf gebracht.

Er hatte mich vom Savoy abgeholt und die ganze Fahrt über nichts gesagt.

Eigentlich eine Wohltat, wenn es um Kölner Taxifahrer geht.

Er allerdings hatte andere Gründe, zu schweigen.

Er war sauer, denn wir waren gleich alt, das sah man, aber ich trug einen "Hugo" Anzug und wohnte im Savoy und er fuhr Taxi.

Und das sah man auch.

 

Gerade als ich mich entschlossen hatte, auf meine Platzreservierung zu verzichten, da ich schon im ersten Wagen, den ich bestiegen hatte einen wunderbaren Fensterplatz erspähen konnte, sah ich sie.

Zum ersten mal.

 

Sie war fantastisch.

Sie hatte ihre Sonnenbrille in ihre langen, dunkelblonden Haare geschoben und kämpfte damit, ihre sperrige Tasche ( Bogner Sport ) durch den Gang zu ziehen.

Hinter ihr redete in einer Tour ihre Mutter auf sie ein, doch sie blieb freundlich und nett.

Erst als sie sich an mir vorbei drückte und meinen belustigten Blick in Richtung ihrer Mutter wahrnahm, verdrehte sie, unsichtbar für ihre Mutter, ihre wunderschönen, blaugrünen Augen und lächelte mich mitleidserregend, aber lustig an.

Ich wiegte den Kopf hin und her und entschied, ihr meine Hilfe anzubieten.

Sie deutete auf eine Sitzgruppe mit Tisch im hinteren Teil dieses Wagens und ich nickte leger, nahm ihr die Tasche aus der Hand und platzierte sie einige Meter weiter ordentlich im Gepäckhater, direkt über ihren Plätzen.

Sie berührte meinen Arm, als sie sich bedankte und ich bemerkte:

a) Dass mich diese flüchtige, sehr wenig intime oder vertraute Berührung mehr durchzuckte als alle Berührungen der blonden Praktikantin, die ich gestern Abend auf einer Premierenparty kennen gelernt hatte und die mit mir dann die Suite im Savoy geteilt hatte.

Und

b) Dass ihre Mutter wohl doch eher ihre Oma sein musste, denn sie hatte schon viele braune Flecken auf den Händen, was bei ihr aber sehr elegant wirkte, denn die Haut an sich war noch sehr weich.

 

Auch ihre Oma bedankte sich überschwänglich und bedeutete mir, mich doch ihnen gegenüber auf die andere Seite des Tisches zu setzen.

Ich kam mir vor, als wollte sie mir gleich eine Cola ausgeben, weil ich ein so hilfsbereiter Junge war oder mir ein 5 DM Stück in die Hand drücken würde.

 

Doch sie kam nicht dazu, denn das Mädchen sagte, während sie ihren Mantel auszog:

 

- Oma, er möchte ganz sicher nicht hier sitzen, er hat bestimmt etwas zu tun oder ist mit anderen Leuten unterwegs.

 

Hm. Jaja, Frauen wollen sich ja bekannter Maßen durch Desinteresse interessant machen.

 

Ihre Oma schaute mich fragend, fast ein wenig enttäuscht an.

Ich räusperte mich und murmelte:

 

- Ja, natürlich, nein, ich reise allein. Aber natürlich habe ich etwas zu tun, und ich möchte ja auch nicht stören.

 

Ich lächelte den beiden Damen freundlich zu und nickte zum Abschied.

Während ich mich zum Gehen aufmachte, bemerkte ich, wie die Oma des Mädchens lustlos ein Buch aus ihrer Handtasche holte und es in der Mitte aufschlug.

Es war ein Buch von Ernst Jünger, eine ziemlich alte Ausgabe, das sah ich sofort, obwohl ich nicht viel lese und Ernst Jünger schon gar nicht.

Ich glaube nämlich, dass Ernst Jünger eigentlich ein Kriegsverherrlicher war und seine Prosa liest sich auch nicht anders als beispielsweise die von Hermann Hesse.

Hesse kannte ich aus der Schule, Unterm Rad, Demian und Peter Camenzind.

Alles entsetzlich langweilig und schlecht geschriebene Sachen, die ich jedenfalls damals schon nicht gemocht hatte.

Auf jeden Fall glaube ich, Ernst Jünger ist mindestens ein halber Nazi und vermutlich lebt der sogar noch irgendwo, am Bodensee oder so.

 

Zimmer im Marriott am Gänsemarkt. / Hamburg / 3 Tage und 4 Kapitel später:

 

Anna kam aus dem Bad und hatte nur ein T-Shirt an und einen schwarzen Slip.

Ihre Haare waren noch nass und sie kämpfte damit, sie irgendwie in Form zu bekommen.

Sie ging gedankenverloren zum Fenster und sah auf den im Dunkeln liegenden Gänsemarkt herunter.

Keine Menschenseele würde dort jetzt vermutlich zu sehen sein, um diese Uhrzeit, lediglich die verwaisten Stände des Weihnachtsmarktes, die der Dinge harrten und darauf warteten, von hässlichen Waldschraten in unmöglichen Annoraks und entsetzlichen Wollmützen zum Leben erweckt zu werden.

 

In diesem Moment nahm sie vermutlich gar nicht wahr, dass ich auch im Zimmer war.

Ich betrachtete sie vom Sessel aus und wünschte mir, dass alle Signale, die ich von ihr in Berlin zu bekommen geglaubt hatte auch richtig gedeutet waren.

 

Sie war fantastisch.

Wir hatten auf der Fahrt nach Hamburg über Gott und die Welt gesprochen.

Sie hatte erzählt, ihr Lieblingsfilm sei Der Himmel über Berlin.

Ich hatte verschwiegen, dass mein Lieblingsfilm Einsam Zweisam Dreisam war und statt dessen eine Diskussion vom Zaun gebrochen, eigentlich um mit selbigen irgendwann winken zu können.

Ich sagte, der Anfang von Wim Wenders Film wäre abgeguckt von diesem Propagandafilm, in dem der Führer in Berlin einschwebt, quasi als Heiland vom Himmel nach Berlin einfliegt.

Die Riefenstahl hätte Wenders sozusagen die Vorarbeit geleistet und das wäre doch wohl ein starkes Stück.

Ich habe ihn mal getroffen, das ist ehrlich wahr, auf meinem Abiball.

Ich hätte ihn damals eventuell fragen sollen, ob er das damals irgendwie ironisch gemeint hat oder wie in Triumph des Willens, aber er hätte mich vermutlich nur angeglotzt durch seine bunte Werberbrille und gedacht, ich wäre ein kleines Arschloch, dass sich wichtig machen will mit Kulturfragen an ihn.

Anna sagte, ihr gefalle nur der Film, nicht der Wenders, denn so Typen wie Wenders solle man prinzipiell gar nichts fragen, denn das wären alles nur große Arschsäcke.

Ja, das hatte sie tatsächlich gesagt.

Arschsäcke.

Ich entgegnete, das ich das nicht fände und man sollte unbedingt fragen, schließlich würde Wenders mit seinen Filmen ja eine menge Leute erreichen und da bräuchte er vielleicht mal ein Feedback.

Anna sagt, der sollte ignoriert werden, der bräuchte höchstens mal eine neue Frisur und einen neue Designer und ich hätte wohl die letzen Jahre nicht aufmerksam den Erfolg seiner Filme verfolgt, dann wüsste ich nämlich, dass das mit den vielen Leuten, die er angeblich erreichen soll so eine Sache wäre. Und im Übrigen: Ich wäre ein blöder Hippie, der glauben würde, er könne Sachen verändern, indem er diskutiert.

Aber sie sagte das immer mit einem so unglaublich süffisanten Lächeln, das mich jedes mal umgehauen hat, sonst hätte ich Wenders ja auch verteidigt.

 

Anna drehte sich um, sagte nichts, kam zu meinem Sessel, schaute mir in die Augen und sagte: Gar nichts.

Sie nahm meine Hand, zog mich zu sich herüber und strahlte mich an.

 

Was dann passierte, lässt sich schwer in Worte fassen.

Und gerade bei einer so sensiblen Thematik wie dieser müsste ich schon Schriftsteller sein oder Wim Wenders, um dem Ereignis einigermaßen gerecht zu werden.

Wir hatten Sex.

Wem das nicht reicht, der könnte nachlesen in einer detaillierten, zutreffenden Korpulationsbeschreibung, die unser Erlebnis am besten schildert.

Lesen Sie nach auf den Seiten 271 - 304 von Harold Brodkeys Erzählungen "Unschuld", veröffentlicht im Rowohlt Taschenbuchverlag, Hamburg 1992.

 

Es geht nur um die reine Wahrheit.

 

Der einzige Unterschied der genannten Passage zu Anna und mir war die Tatsache, dass Anna sich beinahe selbstständig ihren Höhepunkt erarbeitete.

 

Folgerichtig waren alle meine Träume: Weg.

Ich wollte nichts mehr von alle dem, ich wollte hier sein, in diesem Moment.

Be here now.

Als der Mensch, der ich war.

 

Und ich hatte auch den Eindruck, dass sie das schon immer so gehandhabt hatte.

 

(Darius A. Diekmann, 10.01.00)

 

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