Gewinner der Woche

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Der Gewinner der Woche

 By Dari D.

 

Es ist eindeutig. Mit Ausnahme von mir hat kein Mann gemerkt, daß es in den letzten Wochen einen Idealort gab, um an Frauen ranzukommen. Nicht im Odeon, im Waschsalon, nicht in der IN-Kneipe oder im Extrablatt, nicht die Bushaltestelle, sondern die Stadt.

Die Innenstadt.

Die Frauen, die es in die Stadt und die Geschäfte verschlägt, sind definitiv hochklassiger als noch im letzten Frühling. Sie sind jung, hübsch, gut gebaut und im Begriff, die Hoffnung auf den Hauptgewinn durch möglichst Luftiges und möglichst laszives Auftreten in der Einkaufsstraße zu verwirklichen. Sie sind auf der Suche, in Abenteuerstimmung. Und überaus ansprechbar. Am letzen Samstagmorgen fiel sie mir auf, als sie in meinem Lieblingsladen hinten an einer Pappfigur stand und einen hellblauen Chiemseepullover betrachtete, der auch mir bei meinem letzten Besuch sofort ins Auge gefallen war. Sie sah aus wie Liv Tyler aus “Stealing Beauty” und trug über der weißen Jeans ein fast bauchfreies Oberteil mit dem Schriftzug “Academy of Beautiful Girls”. Will ein Mann das Bedruckte Shirt einer Frau entziffern, glaubt sie stets, er glotze auf ihren Busen. Manche mögen das, manche nicht.

Liv Tyler mochte es. Sei näherte sich mir mit trippelschritten (elfenhaft?), berührte meine Hand und fragte im Tonfall eines Engels: “Schöner Pullover, oder?” Ich knipste trotz dieses einen schwachen Satzes routiniert die Melancholie in meinen Augen an und Antwortete: “Gibt es überhaupt einen schöneren Pullover?”

Eine Frage, wie clever! Dieser gespielte Tiefgang wirkt immer. Nicht nur auf brünette Frauen und nicht nur beim Einkaufen. Liv Tyler, das erkannte ich sofort, fand mich total interessant und hätte mich eventuell sogar gegen ihren neuen babyblauen Pullover eingetauscht. Schon waren wir im Gespräch und unterhielten uns über das neue U2-Album und Freedom, die erste Slip-Einlage mit Flügeln. Ich erklärte Liv Tyler die Wahrscheinlichkeitsrechnung und versicherte ihr, daß sie gar keine Ähnlichkeit mit Claudia Schiffer habe, was ja für jede Frau außer Claudia Schiffer inzwischen das größte Kompliment ist. “Claudia Schiffer ist so erotisch wie Schiffszwieback,” sagte ich und war erschrocken über die Wucht und Stringenz meines Wortspiels. Liv Tyler kicherte. Es war alles klar zwischen uns. Ich lud sie am Abend ins Odeon ein, um ihr später in der Nacht bei mir zu Hause meinen gotischen Betstuhl zu zeigen. Sie freute sich, wollte für den Nachmittag ohne mich noch eine Zeitschrift mitnehmen und kam aus dem Schreibwarenladen mit einem “Focus” zurück. Ich sagte zu Liv Tyler, “Focus” und “Focus”-Leser seien zum schlecht werden. Ich sagte, Menschen beim “Focus”-Lesen seien wie Hunde beim Fressen aus dem vorgesetzten Napf.

Ohne Liv Tyler ging ich nach Hause. Meine Empörung war gerecht: “Focus” und seine Chef-Redaktion arbeiten seit 4 Jahren an der Abschaffung der politischen Meinungsfreiheit, indem sie auf jeder Seite klarmachen, daß Kohl alles ist und Opposition nichts. Selbst in der “Bunten” steht Erbauungsliteratur, verglichen mit “Focus”. Die Entweihung der Demokratie beginnt jede Woche mit dem Pseudotagebuch von H. Markwort. Der hat zwar nichts zu sagen, wird aber jede Woche mehr in Liv Tylers Gewissen reden, als ich in meinem ganzen Leben. Scheiß Typ. Scheiß Blatt. Tschüß.

 

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