Augenwinkel

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1 Pia, Münster, 23. September 2002

 

Ich hatte sie schon von weitem aus dem Augenwinkel gesehen. Vermutlich kommt sie von der Schule, denke ich. Sie fährt auf ihrem Fahrrad die kleine Gasse runter, die vom Prinzipalmarkt Richtung Theater führt. An der Kreuzung vor dem Haupteingang zum Stadttheater würde sie an mir vorbeifahren, habe ich erkannt, und darum cool nicht mehr hingesehen, sie würde ja sowieso gleich kommen. Ihre Ampel war grün, meine rot. Ich hatte eine Plastiktüte mit drei Büchern, die ich gerade erworben hatte, dabei. Sehr gut. Eine Tüte von einer bekannten Münsteraner Buchhandlung wirkt sicher interessant. Neben den Büchern enthielt die Tüte auch noch einen neuen Selbstbräuner, den mir eine alte Schulkollegin bei Karstadt aufgeschwatzt hatte, ein „Kicker Sportmagazin“ und eine Atomic Kitten-CD. Das kann sie nicht sehen, Glück gehabt.

 

Einige Sekunden voller Vorfreude vergehen, ich drehe mich doch um. Wo bleibt sie? Sie müsste doch schon längst ... Sie stand hinter mir. Brauner Mantel, beiger Rock, sehr lange Haare, zu einem Kordelzopf runtergebunden. Braune Stiefel. Ihre Strumpfhose, irgendwie auch beige. Ihr Gesicht so hell und rein und zart, genau wie ich es eben aus den Augenwinkeln nur erahnen konnte. Sie lehnt an der Ampel auf Ihrem Hollandrad, schwarz natürlich, ein Gazelle-Rad, das sehe ich sofort. Als alter Münsteraner kennt man sich mit Fahrrädern ja aus. Sie will also auch über die Straße, Richtung Buddenturm, der im Moment nicht so hübsch aussieht wie sonst, denn er ist eingezäunt mit Baugerüsten und neongelbe Riesenplakate weisen auf so wichtige Dienstleistungen wie „Aufzugsverleih“ hin. In ihrem Fahrradkorb eine braune Ledertasche, sehr flach, genau passend zu Mantel und Stiefeln. Wenn sie hier her fährt, vermute ich, ist sie wahrscheinlich in der Stufe 13 am Paulinum. Aber die Münsteraner City ist an Nachmittagen und Sonnenschein so voller Gymnasiasten wie das Hamburger Cliff voller Sonnenstudio-gebräunter Männer, die gerne Ferrari fahren würden und versuchen, wenigstens so cool zu wirken, als hätten sie einen. Irgendwo nur nicht hier. Aber das kommt ja auch an bei den Frauen dort, habe ich gelernt in den letzten zwei Jahren.

 

Mädchen wie sie würden nicht im Cliff sein, sie würden sich da nicht wohl fühlen. Mädchen wie sie gibt es gar nicht mehr in Hamburg. Münster ist traumhaft. Ich kann die Reinheit, die sie in sich birg, fast fühlen. Früher, als ich noch selber in Münster auf das Schiller-Gymnasium ging, konnte ich mein Glück ja gar nicht erahnen. Damals lebte man in den Tag hinein, machte sich keine Gedanken und dachte gar nicht so weit, als das man ansatzweise hätte erahnen können, welche Kleinode an weiblicher Einzigartigkeit diese Stadt in den jüngst erwachsen werdenden Generationen hervorgebracht hat. Münster ist perfekt. Nur 280.000 Einwohner, überschaubar, ein perfekter Platz, um behütet seine Kinder großzuziehen. Die „Penner“, wie man die Menschen an Bahnhöfen gerne nennt, die gerade vergessen haben, wo sie wohnen, sind hier an einer Hand abzählbar. Viel Grün, viele Familien, viele Akademiker, viele Rechtsanwälte und Ärzte. Viele Familien, die sich keine Sorgen machen müssen. Also macht man sich auch keine Sorgen. Warum auch. Und dann wächst man so heran, macht die ersten Erfahrungen mit Mädchen, mit Partys, mit Nachtleben und ist verwundert darüber, wie viel nachts in dieser Stadt so los ist. 80.000 Studenten machen es möglich, haben eine Club-Kultur geschaffen, die für eine Stadt dieser Größenordnung beachtlich und verblüffend ist. Und die Papa-Ärzte, die der Mama-Hausfrau Samstags auf den Markt folgen, ihre Barbour-Jacken tragen und mit Nachbarn über Fussball, den letzten Geburtstag, den Rotary-Club oder einen anderen Nachbarn reden, dessen Barbourjacke sie gerade nicht in der Nähe wähnen, ihr ein BMW-3er-Cabrio gekauft haben und Sonntags zum Golfspielen nach Wilkinghege fahren, ahnen vermutlich noch nicht einmal, wo sich ihr Nachwuchs so rumtreibt am Wochenende. Keine Sorgen. Was kann in Münster schon los sein. Ein paar Studentenkneipen.

 

Ist aber auch nicht so schlimm, denn es passiert ja auch nie was. 22 Jahre habe ich hier gelebt, geschätzte 6 davon habe ich intensiv am Nachtleben teilgenommen. Dabei war ein Caipirinha immer schon das höchste der Gefühle gewesen, wenn es um Betäubungsmittel ging. Das Wort hemmungslos hat hier noch eine ungefährliche Bedeutung. Kein Vergleich zu Hamburg, wo ich seit 3 Jahren lebe, wo mir auf meiner ersten Party gleich alles angeboten wurde, was man in einer gut sortierten Asservatenkammer vermuten würde und wo ich einige Tage Assimilierungszeit brauchte, um zu begreifen, warum in Hamburg auch Typen auf Partys immer zu zweit auf die Toilette gehen. Das gibt es hier nicht, das kennt sie bestimmt gar nicht.

 

Und so lehnt sie da, kneift ein wenig ihre Augen zusammen, die Sonne, streicht sich ein Haar aus dem Gesicht. Sie hat mich gesehen, das merke ich, und wieder bin ich fasziniert, weil sie so anders reagiert als die Mädchen in Hamburg. Sie schaut zur Seite, um nicht direkt an sich herunter zu gucken, guckt dann doch an sich herunter und ist erleichtert: Rock sitzt, Mantel sitzt, trägt nicht auf. Sie sieht perfekt aus. Aber sie weiß es nicht. Ein Diamant, der gerade hofft, er wäre ein Halbedelstein, weil er sich für einen ganz hübsch polierten Kiesel hält. Täglich versuchen ihre Stufenkollegen, sie davon zu überzeugen, dass sie sich für sie interessieren sollte. Aber die Jungs in ihrem Alter sind ihr zu kindisch. Ältere kennt sie aber kaum, weil sie nie jemanden ansprechen würde und weil ihre Eltern das vielleicht auch noch gar nicht so toll finden würden. Ich schätze sie auf 19 Münster-Jahre. Das entspricht etwa 14 Hamburg-Jahren, jedenfalls für Mädchen und was deren sexuelle Evolution angeht. Sie hat auf ein paar Kellerpartys, Studentenfesten oder im Nachtcafé nach zwei Bier aus der Flasche gedacht, sie wäre ziemlich wild und dann ab und zu mal mit einem etwas älteren Typen geknutscht. Im letzten Jahr sogar mit Zunge, zuletzt vielleicht sogar mit deutlicherem Körperkontakt, obschon sie sich nicht wirklich dafür begeistern kann, einem fremden zu erlauben, ihr mehrere Minuten lang in irgendeiner Ecke unter das T-Shirt zu fassen. Vor ein paar Jahren waren sie und ihre beste Freundin hin und wieder in einen der Schul-Schwärme verknallt, die immer so drei Jahrgänge über ihnen waren und sich vor ihren Freunden damit profiliert haben, dass Mädchen wie sie auf dem Schulhof gekichert haben, wenn er einen coolen Spruch gemacht hat oder ein zu dem Zeitpunkt besonders angesagtes modisches Accessoire mal wieder als erster zur Schau gestellt hat, aber mittlerweile war sie selber in der 13. Stufe und die Schulschwärme studierten irgendwo in Köln oder Freiburg oder München – jedenfalls waren sie nicht mehr da.

 

Sie war auf diese hinreißende Art unbekümmert und ahnungslos und sich doch bewusst, dass sie etwas ausrichten konnte mit ihrer Art, mit ihrem Aussehen. Nur dass es für mehr als gute mündliche Noten bei älteren Lehrern reichte, das hatte sie bisher nur erahnt. Und das war ihr Kapital. Sie heißt sicher Anna oder Marie oder Johanna.

 

Das alles ging mir so durch den Kopf, während die Ampel auf grün springt. Ich gehe los, sie fährt los, nur Bruchteile einer Sekunde später. Sie fährt langsam, fast Schritt-Tempo, beinahe zeitgleich erreichen wir die andere Straßenseite. Sie streicht sich wieder ein Haar aus dem Gesicht. Morgen früh werde ich nach Hamburg zurückfahren. Die Chance, sich morgen Mittag um die selbe Zeit wieder hier herumzudrücken, um sie erneut zu sehen, fällt also aus. In Hamburg hätte ich sie niemals angesprochen, hier tue ich es einfach, noch ehe ich mich fragen kann, ob das eine gute Idee ist. Es passiert einfach.

 

„Entschuldigung“

Sie dreht sich um

„Entschuldigung, ja, du!“

Sie bleibt stehen, ich erreiche sie. Sie balanciert auf Ihrem Rad, verpasst den Moment, elegant abzusteigen und springt vom Sattel. Sie steht breitbeinig über ihrem Fahrrad, was ihr unangenehm ist, weil sie nicht souverän wirkt. Mir ist das egal, ihr aber nicht.

 

„Entschuldige. Ist jetzt etwas komisch, ich weiß, aber irgendwie habe ich gedacht, wenn du sie nicht fragst, fragst du dich den ganzen Tag, warum du es nicht gemacht hast, und das wollte ich mir ersparen“

 

Hamburger Mädchen würden denken, ich wäre nicht ganz zurechnungsfähig, sie findet es hoffentlich ganz süß.

„Also entschuldige bitte. Es ist so, ich war seit drei Jahren nicht mehr regelmäßig in Münster, seit ich in Hamburg wohne, nur so zu Weihnachten oder so, wegen meiner Eltern, ich war am Schiller ...“

Sie lächelt, sie kennt meine alte Schule.

„... und jetzt hat es sich so ergeben, dass ich wohl wieder öfter hier bin. Na ja, kurz gesagt: Die meisten meiner alten Freunde studieren irgendwo und sind nicht mehr hier, Christian, der einzige, der hier studiert, sagt, es gibt jede Menge neuer Clubs und Bars und so. Und da dachte ich, du könntest mir vielleicht sagen, was man so machen kann am Wochenende.“

Sie sagt nichts. Ich sollte also weiterreden, sonst wird es ein Fiasko.

„Ich meine, ich war früher immer im Le Club oder im Nachtcafe, aber es gibt so viel Neues, oder?“

„Ich gehe eigentlich nicht so viel weg.“

Toller Start. War das eine Abfuhr? Keine Zeit für Analysen.

„Du willst mich also im Stich lassen? Na toll.“

Sie lächelt.

„Nein. Keine Ahnung, im Moment gehen viele immer in den Klup. Klup mit K und P, da wo früher das Café del Arte war.“

„Ach so, das kenne ich.“

Den Klup kenne ich auch schon, zwar nur aus Erzählungen, aber ich verhalte mich trotzdem so, als hätte ich niemals vorher auch nur ansatzweise schon mal etwas davon gehört.

„Ja, da ist jetzt so ein Club eben. Mir gefällt er nicht so, ich war nur ein Mal dort. Die Decken sind so tief und es ist sehr finster dort. Und komische Leute.“

Finster, ein fantastisches Wort für einen Club. Ich beginne sie zu mögen. Sie verändert ihre Position und zieht ihr linkes Bein über ihr Fahrrad, um nicht mehr breitbeinig zu stehen.

„Verstehe. Also der Klup. Vielen Dank.“

 

Sie schaut mich an. Vielleicht überlegt sie ja, ob das jetzt alles war, ob ich wirklich nur diese Information wollte und auch jeden anderen hätte fragen können. Aber das weiß ich nicht mit Sicherheit. Vielleicht ist sie auch nur froh, dass ich keine kompliziertere Frage gestellt habe, wie „hast du einen Freund“ oder „kann ich dich zum Pizzaessen einladen“. Oder sie überlegt, ob ihre Mutter es gut gefunden hätte, mit diesem Jungen zu sprechen. Obwohl, er sieht ja ganz adrett aus. Vielleicht denkt sie das aber auch nicht. Ich stelle die Frage also. Ich habe ja auch nichts zu verlieren.

 

„Ich muss morgen erst mal wieder nach Hamburg, aber die nächsten Wochenenden werde ich immer in Münster sein. Ich muss viel schreiben, und zu Hause ist es so schön ruhig. In Hamburg wäre ich eh nur abgelenkt. Aber vielleicht hast du am nächsten Wochenende ja Lust, mit mir ein paar von den neuen Clubs anzusehen. Einfach so.“

„Einfach so?“

Ich weiß nicht, ob das eine Frage sein sollte oder ob sie nur den letzten Satz wiederholt, um etwas Zeit für die Antwort zu gewinnen.

„Ja, also, einfach so, ja. Macht zu zweit bestimmt mehr Spaß.“

„Ich muss eigentlich ziemlich viel lernen.“

„Das ist eine Ausrede! Das ist die Nummer 1-Ausrede überhaupt.“

Sie lächelt noch mehr.

„Nein, das stimmt wirklich. Behauptest du vielleicht, dass ich lüge?“
Sie wird offensiver, ich bin positiv überrascht. Sie bricht nicht ein oder winkt direkt ab.

„Ein paar Stunden Abwechslung sind bestimmt nicht so schlimm. Und ich bin ein toller Party-Partner. Ich lade dich auch zum Essen ein, wenn es sein muss.“

Ich lächle mein Lächeln Nummer 4, verschmitzt.

Sie lächelt ihr Lächeln Nummer 1, es macht sie noch attraktiver.

„Ich weiß nicht. Ich kenne dich ja nicht.“

„Ich sprach ja auch von feiern und nicht von heiraten.“

„Muss ich jetzt sofort zusagen?“

„Nein, nein. Natürlich hast du Bedenkzeit bis Freitag Nachmittag. Ich will dir ja nicht die Möglichkeit nehmen, erst noch alle deine Freundinnen zu fragen, ob du dich mit einem fremden Jungen treffen solltest.“ Sie lächelt wieder.

„Das kann ich schon alleine entscheiden, weißt du?“

„Natürlich, Entschuldigung!“

„Wie alt bist du?“

Die Frage wirkt für ein paar Sekunden irritierend. Hätte ich nicht mit gerechnet. Also, mit der Frage und mit der Irritation.

„25, warum? Zu alt für dich?“

„Zu alt für was?“

„Für ein gemeinsames Wochenende?“

„Nein, das geht noch so gerade durch. Es ist nicht das Alter, das ich komisch finde.“

„Du findest mich komisch? Warum?“

„Na ja, du wohnst in Hamburg, du bist älter als ich, du hast bestimmt 1.000 Frauen in Hamburg, die gerne mit dir ausgehen würden, und du fragst mich. Ich weiß nicht.“

Ich auch nicht. Ich weiß nämlich nicht, wie ich diese Schmeichelei einzuordnen habe. Ist es Fishing for Compliments, ein geplanter Rückzug oder einfach ein Gedanke, den sie plötzlich ausgesprochen hat.

„Jetzt übertreib mal nicht. Ich habe dich gefragt, weil ich dich interessant fand. Ich gebe zu, natürlich zunächst dein Äußeres. Und darum habe ich gerade dich gefragt. Wenn die Jungs hier in Münster etwas mutiger wären, würde dir das übrigens ständig passieren. Aber so habe ich Glück und bin scheinbar der erste, der dich um einen Abend bittet.“

„Der erste jetzt nicht unbedingt, aber irgendwie noch nie so. Also einfach so.“

„Einfach so. So ist das Leben. Und du musst ja auch nicht. Ich bin dir dann nicht böse oder so, immerhin kennst du mich ja auch gar nicht.“

„Das stimmt.“

Sie schaut an der Apostelkirche hoch, die auf der anderen Straßenseite steht, als wenn sie dort unterbewusste Hilfe oder Eingebungen bekommen könnte. Eine Sekunde glaube ich, sie wird absagen. Dann würde ich mir den ganzen Nachmittag einreden, dass sie jetzt bestimmt zu Hause sitzt und sich Vorwürfe macht, dass sie das Angebot nicht angenommen hat. Dabei würde sie vermutlich einfach auf ihr Fahrrad steigen, zum Mittagessen fahren, ihrer Mutter irgendwas aus der Schule erzählen, mit ihrer besten Freundin telefonieren und mich dabei nicht mal erwähnen.

„Vielleicht ja!“

„Vielleicht ja? Das ist ja schon mal ein Anfang! Welche Kriterien müsste ich noch erfüllen, um ein klares Ja zu bekommen?“

Sie lächelt noch ein bisschen mehr. Ich bekomme das Gefühl, ich könnte mich alleine in ihr Lächeln verlieben. Das sage ich ihr aber nicht.

„Weiß nicht. Nett sein.“

„Du willst nette Jungs?“

„Ja?“

Sie flüstert es fast, als hätte sie ein bisschen Angst, ich würde Mädchen langweilig finden, die nette Jungs mögen.

„Ich dachte, hübsche Frauen wollen immer wilde Jungs, die viel Blödsinn machen und mit denen es immer lustig ist?“

„Es kann auch lustig sein mit netten Jungs und ganz ohne viel Blödsinn.“

Aus ihrem Mund klingt es fast philosophisch.

„Okay, also keinen Blödsinn am Wochenende. Versprochen.“

„Okay. Aber ich muss jetzt weg, ehrlich, das ist keine Ausrede. Ich bin mit meiner Mutter verabredet. Zum Mittagessen. Meine Schwester ist auch da. Wir essen sonst nie zusammen, weißt du.“ Nein, weiß ich nicht. Woher auch.

„Oh, da will ich den Familienfrieden natürlich nicht stören. Dann sage ich mal Tschüss und ich würde mich freuen, wenn das klappt am Wochenende! Ach ja, übrigens, ich heiße Felix.“

„Pia. Hi!“

Sie streckt mir Ihre Hand entgegen. Sie lächelt immer noch, kneift die Augen zusammen, weil sie die ganze Zeit in die Sonne gucken musste und macht eine Bewegung, als wenn sie wieder auf das Fahrrad steigen wollte. Ich mache einen Schritt zurück.

„Ach so, wie wäre es, wenn du mir deine Handynummer gibst, wegen der Detailabsprache und so unbedeutenden anderen Details?“

„Klar. Kannst du sie dir merken?“

„Nö. Aber ich speichere sie gleich ab. Los!“

Ich ziehe mein Handy aus der Tasche.

„Was ist denn das für ein Handy?“

Ich habe ein Angeberhandy, ich gebe es zu. Das Motorola V70. Ist ein Hingucker, ich finde es aber auch wirklich sehr schön. Mein schönstes Handy bisher, und ich hatte schon so fast alle Modelle.

„Das neue Motorola. Ich habe einen neuen Vertrag seit neuestem, darum habe ich dann einen guten Preis bekommen.“

Ich frage mich, warum Menschen sich immer so gerne dafür entschuldigen, wenn sie ein teures Handy haben, als wenn das dann ein Charakterfehler wäre, während sie sich nie für ihren zu teuren Wagen oder ihre Designerklamotten entschuldigen. Aber da bin ich wohl Trend-Konform. Ich schwäche ab.

„Sieht cool aus. Das schaue ich mir am Wochenende mal genauer an.“

„Mein Handy ist dein Handy.“

Schwacher Gag, aber sie grinst. Dann nennt sie mir ihre Handynummer. Auch 02.

„Ciao Felix“

„Ciao Pia“

 

Sie fährt in meine Richtung weiter, ich tippe noch ihren Namen zu der Nummer in mein Handy und blicke ihr dann hinterher. Sie dreht sich kein Mal um. Die nächste Ampel an der Tibusstraße ist grün, danach ist sie schnell verschwunden.

 

Es ist Montag der 23. September, der Tag nach dem spannendsten Wahlabend, an den ich mich erinnern kann. Ich bin in Münster, weil ich hier noch gemeldet bin und darum hier wählen musste. Meine Mum war einem Herzanfall gestern Abend sehr nahe, als sich kurzfristig abzeichnete, dass Deutschland von Edmund Stoiber regiert werden könnte. Doch das Blatt wendete sich. Schröder holte in den Hochrechnungen immer weiter auf, Überhangmandate taten ihr Übriges, Rot-Grün war bestätigt. Und ich traf Pia. Und ich habe sie angelogen. Ich wollte das nächste Mal nicht vor Weihnachten nach Münster kommen. Der Plan hat sich geändert.

 

(Darius A. Diekmann)

 

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