Zypern

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Zypern – Eins durch Zwei

 

Hier geht es um eine Familie. Der Vater ist Griechenland. Der Hauslehrer ist Großbritannien. Da auf Zypern eine spezielle Form des Matriarchats herrscht, ist der Sohn eine Tochter. Ob die Türkei der Onkel ist, darüber streiten sich die Gelehrten.

Zypern liegt etwas weniger als hundert Kilometer vor der Küste der Türkei und ein wenig weiter von den Küsten Syriens und Libanons entfernt. Zypern ist etwas mehr als drei Mal so groß wie Luxemburg und hat doppelt so viele Einwohner. Im Sommer 1974 landeten türkische Truppen auf Zypern, das 1960 von Großbritannien in die Unabhängigkeit entlassen worden war, aber Teil des britischen Commonwealth blieb. Seither heißt Türkischer Kaffee in Griechenland Griechischer Kaffee – Ausdruck eines Protestes im Alltag, der an die Umbenennung von French fries in freedom fries erinnert und die man dann doch nirgendwo bestellen konnte. Die türkischen Truppen eroberten das nördliche Drittel Zyperns und riefen dort einen Türkischen Föderationsstaat Zypern aus. Vorangegangen war der türkischen Militärkampagne ein Putsch der zyprischen Nationalgarde, die Kräften zur Regierung verhelfen wollten, die sich 1963 brutaler Verbrechen gegen die türkische Minderheit schuldig gemacht hatten. Der Putsch scheiterte, die Militärintervention hatte einen begrenzten Erfolg und seither ist Zypern geteilt. Die Hauptstadt Nikosia/Lefkoşa liegt auf der Grenze und weist einen türkischen und einen griechischen Teil auf. Verhandlungen unter Schirmherrschaft der Vereinten Nationen, die 1975 begannen, führten zwar zu zeitweiligen Verständigungen. Aber auch die Aussicht auf einen Mit-Beitritt des Nordteils zur Europäischen Union konnte eine Wiedervereinigung nicht herstellen. Dadurch wird Zypern und nicht die Republik Moldau seit 1990 das erste geteilte Land in der Europäischen Union sein. Heute leben auf Zypern 85% Griechen und 12% Türken in Trennung. Eine Minderheit von Zyprioten, also von griechischen Zyprern, lebte nicht ohne Auseinandersetzungen im türkischen Teil.

Das robuste zyprische Wirtschaftswachstum verringerte sich 2002. Inflation, Leistungsbilanz und öffentliches Defizit haben sich verschlechtert. Der Dienstleistungssektor dominiert mit nahezu drei Vierteln die Wertschöpfung des BIPs. Die Industrie trägt nahezu ein Viertel, die Landwirtschaft etwa 5% bei.

Die dem EU-Beitritt vorausgehende Rechtsangleichung hat Zypern in hohem Maße erreicht. Verstärkte Anstrengungen sind in Teilbereichen notwendig. Die EU-Kommission äußert in drei Bereichen die Kapitel Landwirtschaft und Verkehrspolitik betreffend ernsthafte Bedenken. (Vgl. Berichte der EU-Kommission zur EU-Erweiterung)

Bis 1974 war Famagusta ein ‚mondänes’ Reiseziel der Extraklasse. Seit der Libanon („die Schweiz des Nahen Ostens“) nach dem ersten Anschlag 1972 immer mehr abdriftete und schließlich als Reiseland wie Israel auch gemieden werden mußte, konnte Zypern einen starken Zuwachs im Tourismussektor verzeichnen. Seit der Teilung allerdings finden Touristen den Weg in den Nordteil nur sehr selten. Das Ausbleiben der Reisenden bei gleichzeitiger Steigerung des Tourismus im Teil der Republik Zypern hat zu einem erheblichen wirtschaftlichen Ungleichgewicht geführt. Während auf der einen Seite Armut herrscht, weist die andere Seite ein gesamtwirtschaftliches Niveau zwischen Griechenland und Spanien auf. Hier wäre nach einer Wiedervereinigung neben einer Rationalisierung der Politik, die vielfach von Populismus geprägt ist, eine große Herausforderung zu bestehen. Wie lange ein solcher Prozeß dauern würde und wann sich die Frage des Zusammenlebens klären würde, kann hier nicht beantwortet werden. Es wäre zu wünschen, daß die vielen Initiativen der Vereinten Nationen, die mit etwa 1200 Blauhelmsoldaten noch immer vor Ort sind, und das verstärkte Engagement der EU die Verhandlungsbereitschaft der Türkei und des ‚Türkischen Föderationsstaats Zypern’ weiter befördern. Ein Stritt in die richtige Richtung wurde am 23.04.2003 getan. Der beharrliche Führer der türkischen Zyprer, Rauf Denktasch, der seit 1974 amtiert, ließ die Grenze für Tagesbesuche öffnen, was großen Anklang fand. 

 

(Max Bornefeld-Ettmann)

 

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