Tschechische Republik

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Tschechische Republik – Schwermütige Moldau und schwarzer Humor

 

In Polen ist mit Leszek – Lech – Wałesa, dem Vorsitzenden der Gewerkschaft Solidarność, 1990 ein Arbeiter zum Staatspräsidenten gewählt worden. In der Tschechoslowakei wurde 1989 mit Václav Havel, der Lichtfigur des oppositionellen Bürgerforums, ein Schriftsteller Präsident. Nach der Unabhängigkeit der Slowakei wurde Havel 1993 zum Präsidenten der Tschechischen Republik gewählt. Auch wenn der Präsidenten nicht wie beispielsweise in Estland mit eingeschränkter Exekutivgewalt ausgestattet ist, verstand Havel seine Rolle als Präsident nicht nur als Stichwortgeber oder Mahner („Burg-Partei“). Vielmehr ist die Westintegration, die bis zur starken Amerikasolidarität im Zuge des letzten Irakkrieges reichte, das erklärte und durchgesetzte Ziel Havels gewesen. Der Beitritt der Tschechischen Republik zum PfP-Programm der NATO war 1994/1995 ein erreichtes Zwischenziel auf dem Weg zur Vollmitgliedschaft in dem westlichen Verteidigungsbündnis.

Die führenden demokratischen Parteien wurden von Havel stark kritisiert, allen voran die Demokratische Bürgerpartei (ODS) des Ministerpräsidenten (1992-1997) Václav Klaus, der nach einer Affäre um Parteispenden ungeklärter Herkunft von Havel zum Rücktritt angehalten wurde. Dieser Václav Klaus folgte 2003 Havel im Präsidentenamt nach. Miloš Zeman von der Sozialdemokratischen Partei (CSSD) übernahm 1998 das Amt des Ministerpräsidenten. Eine glückliche Hand hatte der Wirtschaftswissenschaftler nicht. Sukzessive übergab er seine Ämter an Vladimir Spidla, der der nächsten Politikergeneration angehört, die weniger zu Populismus neigt,  und dem eine Stabilisierung der politischen Verhältnisse gelang. Seine Schwerpunkte sind der Ausbau des Sozialstaats und der Beitritt zur EU ohne Reibungsverluste. Es hat den Anschein, als ob auch die demokratischen Parteien dort angekommen sind, wo der Intellektuelle und Weltbürger Havel sich selbst verortete.

In der Tschechischen Republik herrscht eine weitgehende makroökonomische Stabilität. Die Sektoren Dienstleistung (55%) und Industrie (41%) bestimmen die Wertschöpfung des BIPs, die Landwirtschaft trägt 4% bei. Der Außenhandel weist relativ hohe Wachstumsraten auf. Ein Ungleichgewicht ergibt daraus, daß der Import den Export überflügelt. Indes steht es mit den öffentlichen Finanzen nicht zum Besten.

Die dem EU-Beitritt vorausgehende Rechtsangleichung hat Tschechien in hohem Maße erreicht. Verstärkte Anstrengungen sind in Teilbereichen notwendig. Die EU-Kommission äußert in drei Bereichen in den Kapiteln Freizügigkeit, Landwirtschaft und Verkehr ernsthafte Bedenken. (Vgl. Berichte der EU-Kommission zur EU-Erweiterung)

Der Beitritt der Tschechischen Republik am 01.05.2004 wird seinen Bürgern nicht so sehnlich herbeigesehnt wie in anderen Beitrittsländern. Die Begeisterung hält sich in Grenzen. Euphorie ist nicht zu spüren – was auf Gegenseitigkeit beruht. In der Abstimmung über den Beitrittsvertrag im Europäischen Parlament konnte die Tschechische Republik von allen Beitrittsländern am wenigsten Ja-Stimmen verzeichnen. Schlagworte für schwelenden Streit in den letzten Jahren sind die Beneš-Dekrete und das Atomkraftwerk Temelín.

Das Prag eine europäische Metropole ist und die Tschechische Republik ein wichtiger Teil Zentraleuropas, kann indes keiner in Abrede stellen.

 

(Max Bornefeld-Ettmann)

 

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