Litauen

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Litauen – „Russen, geht nach Hause.“

 

Mit der Fähre von Kiel fährt man in 20 Stunden 390 Seemeilen (722 km) nach Klaipeda und erreicht damit Litauen, das größte und bevölkerungsreichste der Länder des Baltikums. Im Sommer nutzen diesen Weg Fahrradtouristen und Autoreisende. Von Klaipeda geht es ins Landesinnere, über Autobahnen und Landstraßen, so man will auch in die anderen Länder des Baltikums oder in die russische Exklave um Kaliningrad, dem früheren Königsberg. In Litauen ist auf diesem Weg eine Mode anzutreffen, die auch aus anderen Staaten bekannt ist: an der Straße sind innerhalb kurzer Zeit große Mengen an Restaurants mit kleinen Wasserflächen daneben aus dem Boden geschossen. Den Verkehrslärm ignorierend speist oder feiert man in großer oder kleiner Gesellschaft. Verschwörungstheoretiker verweisen gerne auf diese Mode, wenn sie mafiöse Zustände illustrieren wollen. Litauen steht indes diesbezüglich unter Beobachtung, da angenommen wird, daß die Organisierte Kriminalität von hier aus gegen Westeuropa operiert. Speziell von Verdachtsfällen den Menschenhandel betreffend ist wiederholt berichtet worden.

Litauen unterscheidet sich in manchen Punkten stark von seinen beiden kleineren Staaten der Region Estland und Lettland. Beispielsweise sind die große Mehrheit der Bevölkerung Litauer (81%). Es gibt Minderheiten von Russen (9%), Polen (7%) und Weißrussen (2%). Eine Nationalitätenfrage wie in Estland und Lettland gibt es nicht. In diesen Ländern herrschte während der Sowjetzeit eine russische Elite, die nach der Unabhängigkeit abgelöst wurde. Litauen hingegen konnte während der Sowjetzeit eine größere Eigenständigkeit und weitgehende Selbstverwaltung bewahren, die 1990 mit den Worten ‚Russen geht nach Hause’ in die Unabhängigkeit mündete. Der erste Freie Sender Litauens hatte diese Parole ausgegeben und damit seine Schließung heraufbeschworen. Einige tausend Demonstranten stellten sich vor den Sender, um zivilen Widerstand gegen anrückende Sowjetpanzer zu leisten. Dreizehn Litauer fanden den Tod. Samtene Revolutionen an den Rändern des Ostblocks, hier aber gab es blutige Opfer.

Makroökonomisch hat sich Litauen in den letzten Jahren kräftig entwickelt. Dienstleistungssektor (61%) und Industrie (31%) bestimmen die Wertschöpfung des BIPs, die Landwirtschaft trägt mit 8% mehr als in Estland und Lettland bei. Der Außenhandel entwickelt sich mit hohen Steigerungsraten, konstant bleibt dabei allerdings ein Ungleichgewicht zwischen Export und höherem Import.

Die dem EU-Beitritt vorausgehende Rechtsangleichung hat Litauen in den verschiedenen Politikbereichen in hohem Maße erreicht. Nachsteuerung ist in Teilbereichen notwenig. Die EU-Kommission äußert in nur zwei Bereichen in den Kapiteln Freizügigkeit und Fischerei ernsthafte Bedenken. (Vgl. Berichte der EU-Kommission zur EU-Erweiterung).

Anfang letzten Jahres gelang es Rolandas Paksas den hoch geachteten Re-Migranten Valdas Adamkus als Präsident abzulösen. Paksas war 1999 Ministerpräsident Litauens und trat damals nach fünfmonatiger Amtszeit zurück. Die staatlich subventionierte Privatisierung und Veräußerung des Ölkonzerns Mazekiu Nafta zugunsten einer amerikanischen Gesellschaft fand seine Zustimmung nicht. Auf dieser Verweigerungshaltung baute er seine Präsidentschaftskandidatur auf und empfahl sich als ‚keiner von da oben’. Das in ihn gesetzte Vertrauen brach Ende 2003 in sich zusammen. Paksas wurde der Zusammenarbeit mit der Organisierten Kriminalität beschuldigt. Nationale und internationale Empörung folgte. Konnte Paksas die Vorwürfe aus der Welt räumen?

 

(Max Bornefeld-Ettmann)

 

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