Terror und Liberalismus

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Paul Berman: Terror und Liberalismus, Hamburg: Europäische Verlagsanstalt 2004.

 

Paul Berman gilt in den USA als einer der profiliertesten politischen Essayisten und ist und Autor von Literatur- und Kulturkritiken u.a. für die New York Times, die New Republic und Dissent, wirft in seinem neusten Werk die Frage nach den geistigen Aspekten des Konflikts auf, der spätestens mit dem 11. September 2001 offenbar wurde.

 

Berman beginnt mit seiner Sicht der Definition des Konfliktes. Für ihn handelt es sich dabei um die gegenwärtige Stufe der Auseinandersetzung zwischen westlich-liberalen Ideen einerseits und totalitären Vorstellungen andererseits. Der Gegner des liberalen Westens ist ihm zufolge nicht der "Terrorismus", sondern die totalitäre Ausprägung des Islams.

 

Der Kulturkritiker Berman baut somit auf einer richtigen und wichtigen Erkenntnis, auf, zu der viele sogenannte Experten für Sicherheitspolitik bislang nicht gekommen sind. Terrorismus ist eine Taktik; Taktiken können keine Gegner sein, sondern nur jene, welche die Taktik anwenden. Eine Taktik kann man nicht bekämpfen, sondern nur ihren Anwender. Die Formel "Krieg gegen den Terror" ist so sinnlos wie es die Aussage "Krieg gegen den Überraschungsangriff" nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor gewesen wäre. Der gegenwärtige Kriegszustand besteht nicht zwischen dem Westen und dem Terrorismus sondern zwischen dem liberalen Westen und dem totalitären Islam bzw. dem Islamismus.

 

Berman zufolge muß ein Krieg, der zwischen Ideen geführt wird, auch in Form einer geistigen Auseinandersetzung geführt werden. Berman betont, daß die geistige Auseinandersetzung die militärische nicht ersetzen könne; allerdings hänge die Durchsetzung gegenüber dem Islamismus wesentlich von der Fähigkeit ab, die Unterschiede zwischen den im Konflikt befindlichen Ideen zu erkennen und die Errungenschaften des Liberalismus gegen die totalitäre Kulturkritik zu verteidigen.

 

Berman behauptet nicht, daß die geistige Auseinandersetzung in Form eines "Dialogs der Kulturen" etc. geführt werden könne, bei dem der Gegner durch die Überzeugung von den eigenen guten Absichten von seiner Entscheidung zur Gewalt abgebracht werden könnte. Liberale Ideen stellen eine mindestens ebenso große Bedrohung für den Machtanspruch des Islamismus dar wie liberale Armeen; konfrontiert mit dieser Bedrohung wird kein islamistischer Akteuer friedfertiger werden. Bermans Hoffnung ist, daß die Verbreitung liberaler Ideen den Islamismus zunehmend von Innen unter Druck setzen könnte. Pressefreiheit in arabischen Staaten könnte diesem Ansatz nach Alternativen zu den in der Region gängigen Verschwörungstheorien schaffen, mit denen arabische Autokraten ihre Herrschaft legitimieren und auf die auch Islamisten Bezug nehmen. Die Verbreitung der Forderung nach Frauenrechten würde demnach ebenso zur Schwächung des Islamismus führen wie die Einführung einer wissenschaftlichen Korankritik. Liberale Wirtschaftsmodelle könnten die im Nahen Osten vorherrschenden etatistisch- orientierten Rentierwirtschaften ablösen und zur Herausbildung eines liberal orientierten Mittelstandes führen, welcher der Träger für weitergehende politische Liberalisierung wäre.

 

Diese Vision mag stellenweise idealistisch klingen und am Widerstand der arabischen und Eliten scheitern. Dennoch weist Berman zu Recht darauf hin, daß es einige historische Präzendenzfälle für die Schwächung totalitärer und autoritäter Herrschaft durch die Proliferation liberaler Ideen gibt.

 

Den Schwerpunkt von Bermans Ausführungen bildet eine Exegese der Schriften des islamistischen Vordenkers Sayyid Qutb. Nicht ohne Respekt für dessen intellektuelles Werk analysiert Berman die Grundzüge von Qutbs Kulturkritik und zieht Parallelen zu anderen totalitären Weltsichten. Berman zitiert Qutb ausführlich, und man fragt sich, warum dessen Schriften nicht wenigstens in Auszügen übersetzt wurden. Qutb entwickelte eine politische Vision, die ausgehend von der Prämisse, daß der Koran die von Allah offenbarte Wahrheit ist, logisch aufgebaut ist und aufzeigt, warum der liberale Westen der Feind jeder islamistischen Gesellschaft sein muss. Wenn die letzte Wahrheit als Anleitung für die Gestaltung einer Gesellschaft in Form der islamischen Offenbarung vorliegt, dann gibt es keinen Grund, die Gestaltung einer Gesellschaft dem Ermessen von Individuen zu überlassen, so Qutbs zentrale These. Berman legt überzeugend dar, warum die Umsetzung dieser Idee nicht anders als totalitär sein kann. Einen Kompromiss zwischen islamistischer Gesellschaftsordnung und Liberalismus kann es nicht geben, hier sind sich Qutb und Berman einig.

 

Den Islamismus deutet Berman als kollektivistischen Todeskult, der als Reaktion auf die Herausforderung der traditionellen Ordnung durch den Erfolg des Westens entstand. Als zentrale Elemente des Islamismus sieht Berman das

Streben nach Reinheit durch Auslöschung des falschen Bewusstseins, die Wertlosigkeit des Individuus gegenüber dem Kollektiv, die Betonung von Kampf und Opfer sowie die Idee des Endkampfes als Voraussetzung für die Schaffung der idealen Gesellschaft.

 

Die Konsequenz ist, daß eine Konfrontation zwischen den Gedankensystemen unausweichlich ist. Da beide Ideen universalistisch sind, kann diese Auseinandersetzung nur mit der totalen Niederlage einer der Ideen enden, so wie die Konflikte zwischen dem Westen und den Totalitarismen der Vergangenheit erst mit dem Zusammenbruch von Nationalsozialismus und Kommunismus endeten.

 

Berman widmet einige Betrachtungen den europäischen Friedensbewegungen der dreissiger Jahre und deren Weigerung, die damalige totalitäre Bedrohung zu erkennen. Er unterstellt an dieser Stelle auch der heutigen Friedensbewegung zurecht eine „begierige und verzweifelte Suche nach einer Darstellung der Wirklichkeit, die nicht auf einen neuen Krieg wies“. Anstatt den Konflikt zu erkennen, werde zwanghaft überlegt, was der Westen den Islamisten wohl angetan haben müsse, damit diese sich zum Krieg entschieden. In diesem Zusammenhang wird oft der Vorschlag geäussert, man solle die Unterstützung Israels beenden. In der Argumentation der Friedensbewegung würde der Islamismus auf die weitere Bekämpfung des Westens verzichten, wenn Israel vernichtet sei. Berman lehnt solche Forderungen als kurzsichtig ab; er zitiert in diesem Zusammenhang die Kritik Winston Churchills an der Beschwichtigungspolitik gegenüber dem Nationalsozialismus. Die Beschwichtiger, so Churchill fütterten ein Krokodil in der Hoffnung, von diesem als letzte verspeist zu werden.

 

An dieser Stelle spricht Berman aus, was eigentlich offenkundig sein sollte: Die Ideologie des Islamismus entstand lange vor der Gründung des Staates Israel. Ein Blick in die Programme islamistischer Organisationen räumt jeden Zweifel aus, daß nicht die Politik der Israels oder auch der USA abgelehnt wird, sondern die Existenz von Juden und der Erfolg der liberalen Idee, für den die USA stehen. Wer anderes behauptet, sollte die entsprechenden programmatischen Schriften lesen.

 

Gegenüber der Bush-Administration bringt Berman die Kritik vor, daß diese weiterhin den Gegner als "Terrorismus" definiert und kein Konzept für eine geistige Konfrontation habe. Zudem verkaufe Bush von Berman als positiv bewertete Ansätze schlecht; er nennt das Beispiel der Doktrin des Präventivkrieges. Von Präventivkrieg könne keine Rede sein, so Berman, da die USA seit den Anschlägen auf US-Friedenstruppen im Libanon wiederholt von den verschiedensten islamistischen Bewegungen angegriffen worden seien. Die Wahl des Begriffes des Präventivkriegs habe Kritikern einer offensiven Verteidigung unnötigerweise Munition geliefert.

 

Drei Kritikpunkte sind gegen Bermans Ausführungen vorzubringen.

 

Erstens sieht Berman die arabische Baath-Ideologie als Teil desselben Totalitarismus, für den Qutb eintrete. Tatsächlich wurde die Baath-Ideologie direkt vom Nationalsozialismus inspiriert und lehnte sich später an den Stalinismus an. Zwar weisen Baathismus und Islamismus totalitäre Merkmale auf und stehen bzw. standen dem Westen feindlich gegenüber, aber identisch waren sie nicht. Bermans Rechtfertigung des Irakkrieges als antitotalitärem Krieg ist in weiten Teilen zwar überzeugend, jedoch entsteht der Eindruck, daß er nicht ausreichend zwischen dem allgemeinen Problem des Totalitarismus und der direkten Bedrohung des Westens durch den Islamismus differenziert.

 

Zweitens negiert Berman in seiner Ablehnung der islamistischen Ideen völlig, daß islamistische Akteure zu rationalem Handeln fähig sind und trägt somit zur Unterschätzung deren Gefählichkeit bei. Berman begeht den verbreiteten Fehler, von einer berechtigten philosophisch-begründeten Ablehung des Islamismus darauf zu schließen, daß Islamisten grundsätzlich irrational handeln würden. Am Beispiel des Kommunismus läßt sich Bermans Fehlschluß verdeutlichen: Auch wenn die Geschichtsphilosophie des Kommunismus zu keinem Zeitpunkt in der Lage war historische Prozesse zu erklären (und insofern irrational war), waren kommunistische Akteure dennoch zu rationalem Handeln fähig. Wären sie es nicht gewesen, hätte der Kommunismus nicht siebzig Jahre lang überlebt und große Teile der Welt unter seine Kontrolle bringen können. Analog handeln islamistische Akteure in Verfolgung ihrer von Berman abgelehnten Ziele rational; die Anschläge vom 11. September 2001 waren nicht nur Ausdruck von Boshaftigkeit, sondern sollten zur Erreichung strategischer Ziele beitragen. Wer einen Gegner erfolgreich bekämpfen will, muß seine Strategie verstehen; wer einem Gegner unterstellt keine Strategie zu haben, kann ihn auch nicht bekämpfen.

 

Drittens fällt unangenehm auf, daß er pausenlos betont, daß er ja ein Linker ist, so als müsse er sich für seine Ideen vor einer Art von Inquisition rechtfertigen. Es mag sein, daß er für seine offensive Haltung gegenüber totalitären Ideen u.a. bei den von ihm kritisierten Anhängern Chomkys in Ungnade gefallen ist. Die beschwichtigende Betonung seines eigenen ideologischen Hintergrundes hat Berman nicht nötig, denn seine auf höchstem Niveau argumentierenden Ausführungen sind den Pamphleten eines Chomskys allemal überlegen. Bermans Schüchternheit ist jedoch ein Zeichen für den Zustand des sicherheitspolitischen Diskurses in den westlichen Gesellschaften. Als der Soziologe Ulrich Beck entdeckte, daß militärische Abschreckung funktionieren kann, leitete er einen Artikel über diese Erkenntnis mit einer ausführlichen Entschuldigung bei seinen Lesern ein; schließlich sei diese Erkenntnis "höchst problematisch". Die Idee, sich für das Aussprechen unangenehmer Wahrheiten entschuldigen zu müssen und das akademische Publikum durch die Demonstration korrekter Gesinnung beschwichtigen zu müssen, ist der Feind jeder offenen Debatte und die Ursache auch der andauernden akademischen Blindheit gegenüber der Bedrohung durch den totalitären Islam. Berman widerspricht sich, wenn er einerseits einen offensiven Umgang mit dieser Ideologie fordert und sich andererseits für diese richtige Forderung entschuldigt.

 

Trotz dieser Einwände ist Bermans Werk der bislang überzeugendste Versuch einer geistigen Auseinandersetzung mit dem Islamismus, und es ist zu hoffen, daß dieser Band eine breite Leserschaft finden wird.

 

 

 

Simon Wunder

 

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